Benebelt für Monate


Hier stehe ich und schüttle mich. Es ist kalt. Kalt und feucht. Nur minus 2 Grad zeigt die kleine verrostete Wetterstation an der Wand des DB Servicebüros an. Hier schüttle ich mich am liebsten. Wie fast jeden Montag Wintermorgen. Es ist 06:00 Uhr und ich froste auf Bahnsteig 3/4 eines Hamburger ICE Bahnhofs vor mir hin. Gelber Nebel zieht sich gespenstisch zwischen den Signalen wie Zuckerwatte aus Eis entlang.


Meine Biofunktionen versuchen, die Körpertemperatur bei wenigstens 34 Grad zu stabilisieren. Das geht nicht mit halbherzigem Zittern. So etwas geht nur mit heftigem Schütteln. Und so schüttle ich mich wie ein Straßenbau-Rüttler den langen Bahnsteig rauf und runter. Ich habe keine Brille auf. Darum gesellt sich zum Morgennebel noch der Schleier von zwei mal zwei Dioptrien. Wie das Opossum Heidi durchschwimmt mein Blick die vor mir liegende Schleierwand. Um Euch ein realistisches Bild von der Welt zu geben, wie ich sie im Augenblick sehe, stelle ich meine kleine Fotokamera absichtlich auf unscharf.
              Ich muss dringend zum Optiker...
 
Beim Auslösen gucke ich auf meine nackten und geröteten Finger und denke an die letzten geschätzte 63 Handschuhpaare, die ich in den letzten Jahren in den Zügen der DB liegen gelassen habe. Mittlerweile müssten rechnerisch in jedem 10ten Zug meine Handschuhe liegen. Hier und heute vermisse ich sie.
Aber nicht mehr lange! Am 19. März werde ich mich vorerst das letzte Mal hier an diesem leeren und lebensfeindlich benebelten Ort schütteln und rütteln und mir den Hamburger Gefrierbrand des Jahres holen.
Denn…

…nur 24 Stunden später, am 20ten März 2012 um 06:14 Uhr haben wir Frühlingsanfang. Sogar die, die in Hamburg wohnen, haben den.

Ich vertraue darauf und fasse den Entschluss, mich noch mal den Bahnsteig entlang zu schütteln. Ich vermisse den Frühling wie den jetzt um 15 Minuten verspäteten Triebzug. Bis denn, ihr zwei…
 
 Ein Zug hält um diese Zeit nur für mich! 

  *18 Minuten später...*
Wenn er denn mal irgendwann kommt...