Der Turmbau zu Babel

So schnell geht das. Kaum hat man sich für Kinder entschieden, da sind sie wenige Lebensaugenblicke später auch schon erwachsen geworden und feiern ihr 17jähriges Bestehen. Meine Tochter plant bereits seit zwei Wochen ihre Geburtstagsfeier. Ganze 4 Tage sollen die Feierlichkeiten anhalten und sprengen damit den Zeitraum der Fete von Neil Armstrong, Edwin Aldrin und Michael Collins, als sie mit Apollo 11 heile vom Mond zurückgekehrt sind. 
Ich habe mich entschieden, die bucklige Verwandtschaft weit jenseits der 60 zu betreuen, damit Töchterchen Zeit hat, sich mit ihren Freundinnen und Freunden ihres Alters zu beschäftigen.
Kuchen, Torte, Hausschnaps, fertig! Alles da für Oma und Opa Lohnde und Oma Seelze. Meine Kinder benennen ihre Verwandten nach den Orten, in denen sie leben. Ich bin froh, dass niemand im amerikanischen Chelmsfort Massasusetts oder gar in der walisischen Stadt mit dem unaussprechliche Namen Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch wohnt.

Mich würde interessieren, was ein Navi anzeigen würde...

Punkt 16:30 warnt die Türklingel, dass die erwarteten drei Eindringlinge mit einem Gesamtalter von 230 Erdenjahren bereits vor der Eingangstür stehen.
Zehn Minuten später füllen sich bereits die Teller mit Fanta- und  Mandelkuchen. Opa Lohnde schiebt lustlos seinen Teller über den Tisch und wartet auf den Hausschnaps, der noch im Schutz des dunklen Kellers auf seinen Einsatz wartet.

Oma Seelze beginnt das Gespräch wie immer damit, dass sie nicht versteht, dass sie schon wieder zugenommen hat und klatscht sich während ihrer ernstgemeinten Ansprache den Teller mit dreitausend Kalorien pro Quadratzentimeter voll.
Oma Lohnde saugt derweil den Kuchen mehr ein, anstatt ihn zu essen. Sie hat neue Zähne. Der Zahnarzt hat nicht gut gearbeitet und ihre künstliche Beißfront versucht unentwegt, frontal aus ihrem Mundraum zu flüchten.
Wie ein Battalion von aufgereihten Mähdreschern ziehen die Buckligen ihre Schneisen durch die auf dem Tisch befindlichen Sahneleckereien. Weitere zwanzig Minuten später sind von der meisterhaften Backarbeit nur noch staubkorngroße Krümel übriggeblieben.

Oma Seelze: Hat ihrer Meinung nach - vollkommen unschuldig - ein 
paar Kilo zu viel auf den Rippen...

Nun beginnt der gemütliche Teil der Pensionärsversammlung. Die kleinen Gläser füllen sich und die Gäste meiner Tochter auch.
In der Folge geschieht etwas, was bei jedem Treffen des hiesigen Ältestenrates zu beobachten ist. Sei es bei einem Geburtstag, nach einer Beerdigung oder während anderer wichtigen Verabredungen. Nur eine halbe Stunde nach Zufuhr aller zur Verfügung stehender alkoholischer Ingredienzien, geht es zu wie während des bibelhaften Turmbaus zu Babel. Jeder Gast spricht eine andere Sprache. Dieses Phänomen ist nur schwer zu erklären, bzw. zu umschreiben. Ich habe allenfalls die Möglichkeit einen 10minütigen Gesprächsauszug wiederzugeben, damit Ihr versteht, was ich meine… 
Noch sehe ich normal gesprächs- und aufnahmebereit aus, fühle mich gut und eröffne das Gespräch mit dem Thema Wetter. 

Eli: Noch fühl ich mich gut!

Das Thema Wetter bildet die Eröffnung eines jeden Gespräches und ist so wichtig wie der vorentscheidende Eröffnungszug beim Schach.
Ich warte gespannt auf den Gegenzug…
Opa räuspert sich und schiebt sein Hörgerät in die richtige Position.
Oma Lohnde verarbeitet die Worte wie ein Computer mit Lochkarteneinschub.
Oma Seelze springt am schnellsten an.

Oma Seelze:
„Ja. Das Wochenende soll warm werden.“

Opa Lohnde:
„Wa?“

Oma Seelze:
„Das Wochenende!“

Oma Lohnde an Opa Lohnde gerichtet:
„Es soll warm werden! Sind die Batterien vom Hörgerät schon wieder leer?“

Opa Lohnde:
„Du spinnst doch.“

Oma Lohnde:
„Kann doch sein!
Quatschkopp!“

Oma Seelze (ein weißer Sahnebach läuft unbemerkt aus ihrem rechten Mundwinkel am Kinn herunter):
„Vielleicht sind sie ja tatsächlich alle.“

Oma Lohnde:
„Bianca hat ja auch bald Geburtstag.“ (Bianca ist ihre 2te Nichte)

Opa Lohnde:
„Wo?“

Oma Lohnde:
„Na in Dortmund. Die will ja jetzt auch nach Frankfurt ziehen.“

Opa Lohnde:
„Wer? Du? Ach so. Bianca. Ja.“

Oma Seelze:
„Da soll es ja auch schön werden.“

Opa Lohnde:
„Die wohnt doch nicht in Frankfurt. Die wohnt in Dortmund.“

Opa Lohnde im Einsatz. Jetzt läuft er warm...
Oma Lohnde:
„Aber wollte sie nicht wegziehen? Arbeitet ihr Mann nicht in Frankfurt.“

Oma Seelze an mich:
„Hast Du eigentlich ein Telefon in Deinem Büro? Kann ich dich da auch anrufen?“

Ich:
„Natürlich hat mein Büro ein Telefon. Wenn nicht, wäre es ja auch eine Werkstatt.“

Opa Lohnde:
„Die arbeitet doch in Dortmund!“

Oma Seelze:
„Dann ruf ich dich mal an.“

Oma Lohnde:
„Aber ER arbeitet in Frankfurt.“
 
Ich an Oma Seelze (mit der jetzt 6 Zentimeter langen Sahneschleimspur am Kinn):
„Ja! Mach das. Ich habe die Durchw…“

Opa Lohnde:
„…Ich habe ein neues Handy. Du kennst Dich doch da aus.“

Ich:
„Ich kenne mich nicht mit allen Handys aus. Auf meiner Stirn steht ja nicht Telekom. Was haste denn für Probleme?“

Opa Lohnde (zuckt sein neues Nokia Touch Screen Handy aus der Tasche):
„Ich habe noch keine Dings auf diesem Telefon. Und das kann doch das.“

Ich:
„Was kann das? Beamen?“

Opa Lohnde:
„Lieder.“

Ich:
„Ach so. Ja. Das hat einen MP3 Player installiert.“

Oma Lohnde:
„Was hat das? Haste schon wieder ne Technik gekauft, die de nicht verstehst?“

Opa Lohnde:
„Halt dich doch aus den Sachen, raus, die DU nich verstehtst.“

Ich:
„Wir brauchen ein USB Verbindungskabel.“

Oma Seelze:
„Ich brauch auch ´n neues Kabel. Der Strom wird immer teurer.“

Oma Lohnde:
„Bianka zahlt für ihre Wohnung viel zu viel.“

Opa Lohnde:
„Ich habe keine OB Kabel.“

So schaute ich nach dem Satz mit dem OB-Kabel!

Ich (an Oma Seelze)
„Das hat mit deinem Kabel nichts zu tun. Du musst schauen, welcher Stromanbieter am günstigsten ist.“

Oma Lohnde:
„Wir zahlen nur das, was wir verbrauchen.“

Opa Lohnde:
„Du spinnst doch.“

Oma Seelze:
„Der Strommonteur ist letztens bei uns im Haus vorbei gekommen und er hat sich mein Telefon NICHT angeguckt. Obwohl ich ihn darum gebeten habe!“ (Sie zieht mit ihrem Mundwinkel in ein Schippchen-Winkel).

Ich:
„Was hat der Hauselektriker mit deinem Telefonanbieter zu tun?“

Oma Seelze:
„Ja wat weiß ich.“

Opa Lohnde:
„Ist sowieso alles gleich teuer.“

Ich:
„Ich haben fürs Haus eine Rechnung des alten Stromanbieters von 30,00 Euro bekommen. Ich weiß nicht wofür. Der Stromanbieter wurde bereits vor zwei  Jahren gewechselt. Von “Stadtwerke“ auf “EeasyStrom“.“

Oma Seelze:
„Machen die auch mein Telefon?“

Oma Lohnde:
„In Frankfurt gibt es auch Stromanbieter.“

Opa Lohnde:
(Schaut nur auf Oma Lohnde. Verwirrter, verständnisloser Blick).

Oma Lohnde:
„Ich meine ja nur.“
 
Opa Lohnde:
„EasyStrom ist doch Strom!“

Ich:
„Jaaaaa!“

Opa:
„Stadwerke ist doch auch Strom!“

Ich:
Mein Reden seit 33!

Oma:
„Oh Gott! Ist es schon wieder so spät?“

 Oma Lohnde: Die Zahnfront schiebt sich 
schon wieder langsam Richtung Ausgang...

Opa Lohnde:
„Dann ist das mit den dreißig Euro bestimmt Strom.“

Ich:
„Ich glaub, mein Kittel brennt.“

Oma Seelze:
„Hunde sind schon etwas tolles.“

Ich:
„In manchen Ländern gehören die zu jedem guten Essen dazu.“

Opa Lohnde:
„Und wie bekomme ich jetzt das Dings auf mein Handy?“

Oma Lohnde:
„Bianca hat auch Musik auf ihrem Handy. Ob das auch in Frankfurt funktioniert?“

Oma Seelze:
„Wieso? Hören die da nicht dieselbe Musik wie in Dortmund?“

Opa Lohnde:
„Ich will aber nicht diese Hottentotten drauf haben.“

Oma Lohnde:
„Die Gruppe kenn ich gar nicht.“

Ich:
„Ja, klar! Ich klatsch dir den ganzen Speicher mit Wiener Walzer voll.“

Oma Lohnde:
„André Rieu ist schon toll. Und wie der spielen kann.“

Oma Seelze:
„Der hat ja auch Hunde.“

Opa Lohnde:
„Ja, oder Polka oder so.“

Ich:
„Kann ich dir alles drauf ziehen.“

Oma Lohnde:
„Der Rieu spielt nur ganz wenig Polka.“

Opa Lohnde
„Der Freund vonne Bianca hat ja auch Hunde.“

Oma Lohnde:
„Aber auch ganz viel Walzer!“

Oma Seelze:
„Wer? Der Freund?“

Oma Lohnde:
„Nein. Der andere“

Ich:
„Sie meint Rieu.“

Opa Lohnde:
„Bianca ist doch nicht mit dem Rieu zusammen. Der heißt doch anders.“

Oma Lohnde:
„André Rieu heißt der. Rieu! Der mit der Geige.“

Oma Seelze:
Wer jetzt? Der Stromanbieter?

Ich:
„Neeeeiiiiiiin!“

Nach 10 Minuten staune ich nur noch. 
Und weiß auch nicht mehr, worum es eigentlich geht.

Oma Seelze:
„Der sollte nach meinem Telefon gucken, weil der gerade zufällig im Haus war. Hat der nicht getan. Versteh ich nicht!“

Oma Lohnde:
„Was?“

Opa Lohnde:
„Wer?“

Oma Seelze:
„Wie jetzt?“

Ich:
„Ich mag nicht mehr…“

Drei Stunden, zwanzig Gesprächsthemen und vier Flaschen Waldmeisterschnaps später, löste sich die Geburtstagsgilde auf. Oma Lohnde gratuliert meiner Tochter zum Abschluss nochmals zu ihrem achtzehnten Geburtstag (obwohl sie ja ihren 17ten feiert).
Die Tür fällt ins Schloss.
Wellen der Ruhe breiten sich so rasant aus wie die Druckwelle einer Wasser-Mine.
Geschafft! Es ist wieder ruhig. Ich setze mich auf einen der leeren Stühle. Er gibt noch die Wärme des kurz zuvor darauf geparkten Hinterteils von Oma Seelze ab.
Ich freue mich schon auf Dezember. Dann hat Sohnemann Geburtstag. 
Na denn... Prost!