Die Nackte im Zug

Freundschaften gab es schon immer. Mal gute und mal weniger gute. Ich denke, jedes Land definiert seine eigene Liste der „best of friends“ und wirbt mit ihnen bis hin auf Leinwänden. Die Amerikaner definieren sie mit Cap & Capper, die Polen mit Lolek und Bolek, Marge Simpson mit Homer und seinem Donut und die Italiener mit Bud Spencer und Terence Hill.
Auch ich habe so ein besonderes, bestes Kumpelchen. Grund genug um ihm hier einen kurzen Post zu spendieren. Ich musste ihm allerdings vorher versprechen, dass ich einige Bedingungen einhalte, damit ich etwas über ihn schreiben darf:

1.)  Keine Geschichten über sein familiäres und privates Umfeld (schade)

2.)  Keine Beleidigungen und keine Diffamierungen (wieso das denn?)

3.)  Kein Petzen über sein Verhalten in Restaurants (so´n Mist! Denn das muss man erlebt haben. Besonders, wenn er 500 Mini-Zwiebelstücke aus seinem Fleischsalat aussortiert).

4.)  Keine Veröffentlichungen unserer Emailinhalte (doofes Datenschutzgesetzt – man kann sich aber auch anstellen)

5.)  Ich darf die Bedingungen hier nicht nennen… (…ups!)

6.)  Ich darf nicht verraten, dass er zu einem türkischen 8,00 Euro Friseur geht, der im die Ohrhaare mit offener Flamme abbrennt. (Doppel-ups!!).

Ich würde es ja wieder löschen, aber die „Entfernen-Taste“ an meinem Laptop funktioniert zur Zeit nicht. Zufälle gibt’s …

Mein Kumpelchen und ich kommen grad von einer Sitzung im Norden von Hamburg und rauschen im Großraumabteil des ICE nach Hannover.
Die Zugbegleiterin prüft lächelnd unsere Fahrkarten und entschwebt unseren fest eingerasteten und hypnotisierten Augen. Natürlich sind wir der Meinung, dass sie uns nur deshalb angelächelt hat, weil wir zwei unwiderstehliche Endvierzigermännchen sind.
*Huch, ich hab schon wieder diese Halluzinierkrankheit. (Ich werde sie aber erstmal nicht behandeln lassen – oooh nein, viel zu teuer. Ich bin Kassenpatient).
 
Wir passieren den Bahnhof Harburg und ich erkenne nun deutlich den nickeligen Überkräusel-Blick meines Kumpels. Dieser Blick besagt in der Regel, dass er den Zustand einer ausgelaufenen Batterie angenommen hat und sein Energiehaushalt in der nächsten Stunde aufgeladen werden muss. Kurz gesagt: Das Sandmännchen ist meinem Kumpelchen soeben mit Schallgeschwindigkeit durch die Augen gesurft.
Immer dasselbe Spiel mit ihm! Erst volle Attacke aus allen Rohren und dann einnicken. 

 Was mach ich bloß so ganz verlassen?
Am besten erstmal ein paar Faxen. Er merkt ja nix...

Na toll! Jetzt sitz ich hier mental verlassen und bereite mich auf eine folgende, superlangweilige Stunde vor.
Am besten, ich sinnier vor mir hin.

…sinnier

Grübel Grübel…

…sinnnniiiiiieeeeerrr

Grummel grummel…

Schon überfallen mich die ersten Schnarcher von meiner rechten Sitzflanke, die sich von Geräuschen eines säuselnden Gebirgsbaches bis hin zu einer durchgeknallten Schreddermaschine im Sägewerk entwickeln. Und das alles schafft er sogar mit geschlossenem Mund.
Der schnelle Tunneltampon mit der roten DB Aufschrift untermalt den Schnarchrhythmus meines Kumpelchens mit monotonen Abrollgeräuschen in allen Weichen- und Baustellenbereichen.

Kalunkatong…  Kalunkaton…  Kalunkaton…
Rünkeldünkel… Rünkeldünkel
Schraballaluk… Kalunkatong…  Kalunkaton…  Kalunkaton…

Dazu kommt das zu einem gewaltigen Creszendo ausartenden Schreddergeräusch von meiner Steuerbordseite.

Chhhhrrrrr
Rochel rochel rochel
Hatzepüüüüühhhh
Chhhhhrrrrrrrr
Rochel rochel rochel

Langsam gehen mir die Faxen aus...

Ich überlege, ob ich ihm die Nase mit einer Büroklemme – ähnlich einer Sofortmaßnahme gegen brennende Ölbohrlöcher – verschließe. Ich habe zufällig noch eine von diesen neuartigen Büroklammern in der Tasche.
Aber ich genieße lieber die bewundernden Blicke der Mitreisenden, deren volle Aufmerksamkeit er sich nun in kürzester Zeit erkämpft hat.

Chhhhhrrrrrrrr
Rochel rochel rochel

Kumpels lustig flatternde Nasenflügel lassen mich wissenschaftliche Fragen aufwerfen.
Warum bohrt man(n) eigentlich immer nur mit dem linken Zeigefinger im linken Nasenflügel und im rechten Nasenloch nur mit dem rechten Zeigefinger herum?
Gedankenverloren versuche ich wie ein Schwenkarmroboter im Opel Lackierwerk mittels meines linken Fingers in meine rechte Nasenhöhle vorzudringen. Bevor ich merke, wie blöd ich eigentlich dabei aussehe, stellt es bereits die Zugbegleiterin fest. Sie hat nur drei Meter vor mir im Gang geankert und scheint auf dem Waggonboden fest eingerastet zu sein. Jedenfalls bringt sie auch nicht der stärkste Schlenker des Zuges aus dem Gleichgewicht. Peinlich lasse ich sofort von meinem Rüssel ab und verstecke meinen sündigen Bohrfinger in meinem Schoss. Es ist besser, ich konzentriere mich auf weitere ungelöste Fragen der Menschheit.
 
Auf den teilweise parallel führenden Autobahnen und Bundesstraßen zieht sich der Verkehr wie der glibberige Spuckefaden eines Faltenhunds dahin. Zu den Ostertagen soll es neue Megastaus geben. Himmel Herrgott - warum also finde ich selbst zu diesen Feiertagen keinen Parkplatz vor der Haustür? Ein weiteres ungeklärtes Phänomen.

Mir gehen die Menschheitsfragen aus. Meiner einer wird so langweilig wie einem Engerling während der Verpuppungsphase und ich erinnere mich an drei aktuelle Gegebenheiten...
1.     daran, dass ich meine kleine Kompaktkamera dabei habe.
2.     daran, dass in der Bildzeitung ein nackeliges Pinupgirl abgebildet ist
3.     daran, dass die Partnerin meines Kumpelchens (wie meine auch) unbegründet eifersüchtig werden kann.

Nu heißt es: Absolute Ruhe und Konzentration im gesamten Waggon!

Fluchs flüchtet meine Langeweile wie Wachs von der Kochplatte. Wenn das nicht drei Glückstreffer sind, die meine Weiterfahrt angenehmer gestalten sollten! Ich knicke die BILD Zeitung auf die Größe des darin enthaltenden Nacktfotos und versuche den pikant freizügigen Ausschnitt auf seinem Bauch zu platzieren. 

Jaaa… Soooo… So ist recht! Fertig!!!


Ungewöhnliche Fotos erfordern ungewöhnliche Mittel!

Nun sieht es aus, als wäre er bei der Lektüre über brünette Frauen überglücklich eingeschlummert. Ich muss mich zusammenreißen, nicht laut loszulachen oder ihm ins Gesicht zu prusten. Es gluckst schon in meinem Hals. Auch die Mitreisenden haben ihre helle Freude an meinen Ideen und der „Nackten Tatsache“, die sich nun lustvoll auf dem Bauch meines Kumpels räkelt.
Jaaaaaa… Endlich ist Stimmung im Großabteil der Deutschen Bahn!

Und schnell nochmal den flinken Auslöser gedrückt. 
Hi hi... pruuust... Ich hau mich weg!

Gerade will ich zu seinem neuen Papieroutfit ein witziges Malerhütchen basteln und ihm aufsetzen. Aber es ist leider zu spät.
Nach einer nur 10minütigen Fotosession löst die Zugbegleiterin unsere fidele Runde im Waggon 9 auf. 
Sie bietet uns leckere Schoko-Knusperkugeln an. Grund genug für das Unterbewusstsein meines Kumpelchens, die Aufwachphase auf der Stelle einzuleiten.

Der Zug erreicht pünktlich die niedersächsische Landeshauptstadt. Einige Mitreisende applaudieren. Auf Nachfrage bestätige ich meinem Kumpelchen, dass auch ich die meiste Zeit geschlafen habe und die Fahrt ansonsten langweilig und ohne besondere Zwischenfälle gewesen ist. Keine Ahnung auf was die Klatschen!

Na, wenn der wüste… 

Nachsatz: Hallo Kumpelchen! Wenn Du das hier liest, dann erinnere Dich BITTE daran, dass zwei Deiner superpositiven Eigenschaften folgende Charakterzüge beinhalten:

1.)  Du kannst mir in jedem Fall verzeihen, wenn hier Schnarchfotos mit Nackedeis von Dir veröffentlicht werden!

2.)  Du wirst keine Rache an mir schwören!

Jetzt ist mein Gewissen wieder beruhigt. Na geht doch! Danke!!! :-D