Seit geraumer Zeit falle ich kontrolliert Ski. Für Anfang dieses Jahres ist eine Fahrt nach Filzmoos in Österreich geplant. Die Abfahrt ist – wie jedes Jahr – am Übertragungstag Eins des RTL Dschungelcamps geplant. Dass solch stoische Abfahrtszeitenplanung im ganz starken Maße mit meinen Fernsehgewohnheiten kollidiert und einen starken Dissens zwischen Dschungelbefürwortern und Dschungelgegnern entstehen lässt, versteht mein Kumpelchen nicht. Seine Sendung, der Bergdoktor, ist um diese Zeit längst gelaufen. Er steht pünktlich wie die norwegische Sommersonnenwende mit seinem Audi A6 vor meiner Haustür, während im Dschungel die letzten zehn Minuten der Feuerlurch abgeht.
Ich
drücke meine Klamotten in die letzten freien Winkel des A6 und der Audi schießt
gleich einer überladenen Rennschnecke über die schlesische Heimatautobahn A2,
um sich dann später Richtung Süden zu orientieren.
Nach
nur acht Stunden erreichen wir ohne Zwischenfälle den verschlafenen Ort in
Österreich, der durch seine Ballonwochen berühmt ist. Dieses bezieht sich auf dutzende
von Heißluftballons, die im ganzen Ort nachts aufglühen und nicht auf die Auslagen
einer österreichischen Freudenhausstraße.
Filzmoos: Glühende Ballone soweit das Auge reicht...
Ich
musste vor meiner Abfahrt aus Deutschland versprechen, mir einen Ski-Helm zu
kaufen. Man attestierte mir im Vorfeld in dutzenden von Sicherheitsvorträgen,
dass ich der einzige Bewohner der westlichen Welt sei, der immer noch ohne Helm,
verantwortungslos sich selbst und anderen gegenüber, wie King Kong mit
Spaß-Pudelmütze die Pisten herunterjodelt.
Der letzte Tag ohne Helm. Sechs Jahre hat mich
die Mütze durch Dick und Dünn begleitet...
Mein Kumpelchen war einer der ersten Ski-Terminatoren,
die sich mit einem Helm auf die Piste getraut haben...
Gesagt,
getan. Ich begebe mich in das erstbeste Geschäft des Ortes mit geschätzten dreihundert
Marken an Helmen. Rote, grüne, ohne und mit Visier, mit lustigen Plüschhänden
oder aggressiv anmutenden Rennstreifen. Alles da! Nur nicht für meine Birne.
Unter jedem Helm sehe ich aus, als hätte man mir eine Bowlingkugel auf den Kopp
geschraubt.
Also
ab in den nächsten Laden. Hier sieht die Welt anders aus! Lord Helmchen, ein
geschickt agierender Verkäufer des Ladens, zeigt mir auch sofort seine neueste Helmkollektion.
Nach anderthalb Stunden stehen nur noch zwei Helme zur Wahl. Eine attraktive
Österreicherin schwebt vorbei und zeigt lächelnd auf den Helm links von mir.
„In
diesem hier sehen sie besonders fesch und gut aus“, bläst mir die Dame ihre karamellisierten
Worte ins Ohr.
Natürlich
kostet genau dieses Prachtstück an optimalem Kopfschutz ganze 100,00 Euro mehr
als der andere Helm rechts von mir. Aber was soll es? Ich habe nicht aufgepasst
und nun werde ich mit Watteworte desorientiert eingepudert, wie eine Eintagsfliege
mit einem Feuerlöscher.
Ich
greife zu… Der Helm ist mein!
Das habe ich mir verdient...
Der
nächste Tag…
Stolz
wartet der glänzende Helm auf meinem Schoss. Gleich erreichen wir den
Ausstiegspunkt des Sessellifts und ich bereite mich auf den ersten Ritt meines
Lebens mit meinem neuen Pisten-Partner vor.
Der
Hang liegt in der Sonne und der Schnee glitzert nass und giftig. Große Wellen
und Buckel haben sich auf der Ski-Piste durch etliche Ski- und Snowboardfahrer
gebildet. Nach dem Aussteigen bemerke ich, dass der Schneehang nach 4 Stunden
Sonnenbeflutung nichts mehr mit einer normal befahrbaren Piste zu tun hat. Ich
hätte besser ein Surfboard oder Kanu mitnehmen sollen. Aber ich hab meinen Helm
und meinen Mut und trage die unbändige Überzeugung in mir, dass jede Piste
bezwingbar ist.
Voller
Vorfreude und dem eingefrorenem Lachen eines Frosches am Polarkreis, stoße ich
mich mit meinen Carbon Stöcken Richtung Abhang ab. Der Schatten, der an meiner
Seite entsteht, nimmt Fahrt auf. Der Untergrund verhält sich wie Treibsand. Die
Ski reißen tiefe Wunden durch den weißen Untergrund. Wie auf Wasserski schieße
ich den Hang hinunter bis zu einer Rechtskurve. Jetzt wird die wilde Fahrt etwas
ruhiger. Ein etwa 15 Meter breiter Stichweg wird von tiefverschneiten Tannen und
vereisten Bächen gesäumt. Ich genieße den Anblick beim Vorbeigleiten bis zur
nächsten Linkskurve. Nun wird es holpriger als auf der Oberfläche eines Mehrkornbrötchens.
Ich schieße wie ein Irrwisch auf einer breiten Traverse herunter. Suchend
fiebert ein Blick nach Untergründen, die nicht so stark befahren und abgenutzt
erscheinen.
Ganz
links! Ja, ich bin sicher… hier wird es besser. Der Untergrund ist nahezu
jungfräulich. Kein einziger Abdruck ist zu erkennen. Nicht einmal die Spur eines
Schneehasen, ziert die glitzernde Oberfläche.
Jetzt geht die Post richtig ab. Vielleicht
noch von Rehen, Berggämsen und Murmeltieren als Überschall-Wombat auf einer Kanonenkugel
wahrgenommen, fetze ich eine Schneelandschaft entlang, die immer mehr
befremdlich scheint. Warum nur? Liegt es daran, dass sich hier noch nie
Skifahrer entlang getraut haben? Und wenn ja, wieso? Ich überwinde eine kleine
Anhöhe und bemerke, dass ich von kleinen Bachläufen links und rechts eng eingezwängt
werde. Es gibt keine Möglichkeit, die Ski zur Notbremsung quer in die Kanten zu
stellen.
Ich
schieße weiter wie ein Bleigeschoß auf eine wundersame Welt zu. Und sie
verwandelt sich in eine Welt… ohne Schnee! Vor mir taucht eine Kuhweide im
saftigen Grün auf. Mitten im Winter! Dahinter bildet eine wilde Baumgruppe ein
sicheres Heim für Dolen, Kolkraben, Truthähne und Bergfasane.
Ohne
auch nur einen kleinen Teil meiner Geschwindigkeit abbauen zu können, verlasse
ich nun die Welt des Schnees und schieße über die das satte Weidegrün
österreichischer Bergkühe hinweg. Gras- und Matschklumpen fliegen mir wie
Meteoriten um die Ohren.
An
staunenden Bergwanderern vorbei, baue ich kurz Hoffnung auf, einen kapitalen
Abgang auf der Weide vermeiden zu können und bis zum Waldesrand auf der Fladen-Weide
auszugleiten.
Kaum
Hoffnung geschürt, hängt sich mein rechter Ski in einem Hasenbau auf. Wie ein
Zeppelin mit Düsenantrieb fliege ich durch die Landschaft. Nun verabschiedet
sich auch mein zweiter Ski und landet klatschend im Bachbett.
Kurz
wirkt alles still. Ganz still. Und andächtig fliegt die Natur an mir vorbei. Supergoof
ähnlich - bis der magisch stille Moment
vom Geräusch eines landenden Körpers im Acker zerrissen wird.
Ich
komme im Wald zum Erliegen und sehe aus wie ein Bratapfel, den man durch
Schokoladensauce rangiert hat. Der halbe Acker klebt an meiner Skikleidung, am und
im neuen Helm. Mühselig versuche ich aufzustehen und fange an, meine Ski zu
suchen.
Sieben
Meter von mir entfernt, finde ich sie wie Mahnmale in Acker und Bachbett
stecken. Ich werfe die Ski über den Wasserlauf Richtung Skipiste und bemerke erst
spät die beiden Bergwanderer, die just den Skihang hochsteigen.
Mit
Verringerung des Abstandes des Wanderpärchens scheint sich auch das Grinsen in deren
rotgefrorenen Gesicht immer mehr zu einem Lachen auszubreiten.
„Das
sah verdammt gut aus“, attestiert mir das dick eingepackte Pärchen aus einem
Munde.
„Gestatten…
Goof, Super Goof aus Hannover“ stelle ich mich den beiden vor.
Das
österreichische Männchen wirkt nun überrascht. Prüfend taxieren seine Augen
meinen Helm und meine darunter liegend vermatschten Augenpaare.
„Sag
mal… Bist Du nicht der, dem ich gestern den Helm verkauft habe?“
Tatsächlich!
Die Zeugen meines ersten Abgangs 2014: Lord Helmchen aus dem Verkaufsladen und
die Verkaufsdame mit den Karamellworten.
Ich
sage nichts. Allzu deutlich steht in ihren Gesichtern die Erkenntnis, dass es für
einen Flachlandtiroler wie mir ein Riesenglück gewesen ist, dass mir dieses
Verkaufsteam die höchstmögliche Sicherheit meiner Denkerbirne angedeihen ließe.
Deshalb
nochmals hier aus dieser Richtung: Danke Filzmooser Verkaufsprofies! Danke für
diesen Helm, der Kuh A A Haufen genauso willig aufnehmen und auf Monate versiegeln
kann wie alles andere, was man in ihn hereinschiebt… Bis zum nächsten Jahr!
Bis zum nächsten Jahr, Filzmoos...